5. Tag der Reise (1.9.2003) von Gölbasi (TR) nach Aleppo (Syrien)

 

Die Beschreibung des heutigen Tages wird denke ich mal wieder etwas länger, denn wir hatten ja schließlich noch mal eine Grenze zu passieren. Aber erst mal von Anfang an. Nach einem ausgiebigen Frühstück in dem tollen Hotel ging es los in Richtung Südküste. Erst mal lagen fast 450 km Landstraße durch Zentralanatolien vor uns, die sich furchtbar lange zogen. Die Landschaft wechselte zwar, war aber ziemlich eintönig. Zunächst ging es durch wüstes Grünland, das allmählich durch die Wüstensteppe abgelöst wurde. So 100km vor der Autobahn wurde es dann plötzlich bergig. Irgendwann war dann auch die Autobahn unterbrochen und wir mussten über eine zweispurige, ziemlich enge Bergstraße beeindruckende Höhen überwinden. Da wäre denn auch unsere Reise beinahe zu Ende gewesen. Ich fuhr auf der linken Spur und überholte gerade einen Bus, als der unvermittelt und ohne Blinken herausfuhr. Nur eine Vollbremsung meinerseits (wobei ich beinahe in die Betonabsperrung geknallt wäre) konnte eine Kollision verhindern, da der Busfahrer nicht im Geringsten beeindruckt war und nicht wieder zurückgeschert ist. Na ja, was soll's, wir wissen ja alle, dass in der Türkei eine etwas andere Fahrweise gilt. Der Anstieg war jedenfalls so steil, dass mir beinahe der Kühler übergekocht wäre - und das ist bei einem 4-Zylinder Passat schon eine Leistung. Irgendwann sind wir dann wieder auf die Autobahn gekommen und sind abgesehen von einer falsch genommenen Abzweigung auch gut an ihrem Ende angekommen. Es war übrigens extrem heiß. Dann ging es von der Autobahn runter und wir mussten die letzten 50 Kilometer über schlecht geteerte Landstraßen bei extrem hohem Verkehrsaufkommen bewältigen. Irgendwie waren wir plötzlich mitten im Orient. Auf jeden Fall sind wir dann irgendwann am türkischen Grenzposten angekommen. Dort standen eine Menge Autos, doch das Tor war verschlossen. Ich bin dann erst mal ganz langsam an die Schranke herangefahren und habe davor gewartet. Irgendwann kam dann einer raus und winkte mich zu sich her. Im Heranfahren ging dann das Tor auch auf, doch direkt hinter mir wieder zu. Also konnte der Spaß losgehen. Oder soll ich sagen das Chaos ?

 

Ich gebe dem Herrn, der uns gewunken hat, unsere Pässe und er geht damit ins Grenzhäuschen. Der Beamte stellt mir ein paar Fragen auf türkisch, von denen ich nur die Hälfte beantworten kann, stempelt unsere Pässe und schickt uns weiter. Dann geht es über eine mit Soldaten besetzte Brücke zu einem weiteren Häuschen mit Tor, vor dem ein alter Mann eifrig kehrt, Ein kleiner Junge macht die Schranke halb zu, doch keiner scheint sich daran zu stören, die Autos fahren einfach durch. Und wir auch ! Das war aber einfach, freue ich mich, als ich hinter mir schon Schreie und Pfeifen höre - wäre ja auch zu schön gewesen. Der alte Mann schreit mich an : "You have a problem, Mister, a big problem !" und zerrt mich in das Grenzhäuschen zum diensthabenden Offizier, bei dem ich mich erst mal kleinlaut entschuldige. Der ist jedoch Gott sei Dank sehr nett und erklärt mir ich müsse erst zur Polizei einen Stempel holen und anschließend zum Zoll, das Auto anschauen lassen. Wenn dort alles in Ordnung ist bekomme ich noch einmal einen Stempel und darf endgültig passieren. Also fahren wir wieder zurück im Niemandsland in Richtung Türkei. Am ersten Häuschen steht ein Mann, der mich in sein ziemlich schmutziges, von Fliegen übersätes Büro bittet. Ich muss Platz nehmen und er sieht sich unsere Pässe an, die er abstempelt. Wofür das gut war weiß ich bis heute noch nicht. Gebraucht hätten wir den Stempel nicht. Wie sich später herausstellte, war der Mann vom Gesundheitsamt. Prost.

Dann fahre ich zur Polizei. Dort empfängt mich schon ein Mann in Zivil mit einem Ausweis an der Brust und fragt : "Polis ?" Als ich mit ja antworte nimmt er unsere Pässe, geht an einer Traube von Menschen, die alle auf denselben Stempel warten vorbei, legt sie einem Beamten auf den Tisch und geht hinter dem Tresen vorbei. Ich erkläre ihm, dass wir nach Syrien wollen und nicht in die Türkei, er nimmt die Pässe wieder und legt sie auf den Tisch des anderen Beamten am anderen Ende des Raumes. Da waren sie dann erst mal außerhalb meiner  Sicht. Dann erklärt er mir, ich soll mit ihm außenrum gehen zum anderen Beamten. Wofür das gut war merke ich schnell, als er mir nämlich zuzwinkert und leise "Bakshish, Bakshish" murmelt. Ich sage ihm, er würde Geld bekommen, aber erst wenn alles vorbei ist, was sich noch als ziemlich gute Idee herausstellen sollte. Als wir bei dem Beamten ankommen, stempelt er ohne mich anzusehen unsere Pässe, die er auf den Tresen wirft. Ein Reisender, der vor mir steht, nimmt unsere Pässe und will sie einstecken, was ihm aber nicht gelingt, weil ich sie ihm wegnehme. Glück gehabt.

Am Zoll stehen eine unglaubliche Menge an Taxis und Lkws. Ich fahre also ein Stück weiter vor und stelle mich an dem Häuschen an, um das lauter Georgier, Russen, Iraner, Jordanier, Armenier, Ägypter ... stehen, die furchtbar drängeln und alle als erster abgefertigt werden wollen -  eine etwas unangenehme Situation, nicht zuletzt, weil sie mich alle interessiert mustern. Die Beamten im Häuschen sind furchtbar genervt und unfreundlich und nehmen die Papiere nur durch das Fenster an, das sie immer wieder zumachen, um ihre Ruhe zu haben, wenn sie ein Zollformular bearbeiten. Wenn sie dann das Fenster wieder geöffnet haben, dann nur das Gegenüberliegende, so dass alle Menschen wie wild um das Häuschen rennen, Ich habe dann bald bemerkt, dass da nichts vorwärts geht und habe mich gleich am geschlossenen Fenster angestellt um nachher der Erste zu sein. Plötzlich geht das Fenster auf und ein ziemlich unfreundlicher Beamter will mir gerade irgendwelche Nettigkeiten sagen, als ich ihn erst mal mit einem "Salam aleikum" begrüße, was ihn zu einem Gegengruß zwingt. Als er fertig war, habe ich ihm meine Papiere gegeben und "Oto Suria" gesagt. Er nimmt unsere Pässe und das Zollformular (ohne das wir ja nicht ausreisen dürfen), scheißt alles seinem Kollegen auf den Tisch und macht das Fenster wieder zu. Dort habe ich dann so 15 Minuten bange gewartet (in der Hoffnung, dass unsere Pässe in dem Chaos nicht verloren gehen,, bis ein Beamter rauskam, der unser Auto sehen wollte. Ich bin vorausgegangen und auf halber Strecke gab er mir sichtlich genervt meine Unterlagen zurück (ohne Stempel natürlich) und machte mir ziemlich klar zu verstehen, dass er keine 30 Meter geht um ein Auto zu besichtigen. Ich soll erst mal vorfahren und mich wieder hinten anstellen ! Danke auch !

Ich gehe wieder zu meinem Baksish Mann, der mir erklärt ich solle das Auto an der langen Schlange vorbei an das Häuschen fahren. Das tue ich und stelle mich erneut an, was mir dann irgendwann zu blöd wird. Ich gehe wieder zu dem Baksish Menschen und bitte ihn, mir zu helfen. Der ist sichtlich genervt, packt unsere Papiere und geht an der ganzen langen Autoschlange und dem heißumkämpften Häuschen vorbei zum zweiten Zollkontrollpunkt, wobei er uns hinter sich herwinkt. Dann geht alles sehr schnell. Wir werden bevorzugt behandelt und bekommen auch gleich unseren Stempel. Der Beamte wünscht uns noch auf deutsch "Gute Fahrt" und wir bezahlen unseren "Schleußer". Dann geht es zurück zum Offizier am Rolltor, der sich für die Unannehmlichkeiten entschuldigt und wir dürfen die Türkei verlassen. Endlich ! Aber da war ja noch die Syrische Grenze. Wir fahren erst mal einige Kilometer durch Niemandsland  bis wir am ersten syrischen Kontrollposten vorbeikommen. Dann geht es über die Grenzanlage zu einem Häuschen, an dem wir natürlich falsch sind. Wir fahren wieder zurück zum Polizei- und Zollgebäude. Wie konnte ich das nur vergessen ?

Und jetzt war ich erst mal erstaunt. Alles war ganz anders als in der Türkei, viel organisierter. An der Wand hingen Tafeln auf Englisch und Arabisch auf welchen geschrieben war, welche Stationen in welcher Reihenfolge man zu durchlaufen hatte. wenn man mit dem Service nicht zufrieden sei, solle man sich direkt an den diensthabenden Offizier wenden und sich beschweren. Das war ja mal ein Wort ! Also ging ich erst mal zur Polizei. Die hatten es furchtbar wichtig, untersuchten unsere Pässe mit Infrarotlicht, das sie extra aus einem Schrank holten. Sie wollten alles ganz genau wissen, waren jedoch sehr nett und halfen mir sogar die gelbe Karte für den Geheimdienst auszufüllen. Als ich die erforderlichen Stempel hatte, ging es weiter zum Zoll. Und da ging nichts. Zumindest nicht bis ich mein Bestechungsgeld gezahlt hatte. Das ist ein gut organisiertes System. Ein Mann kam zu mir her und fragte mich nach meiner Sprache. Da keiner seiner Schleußer deutsch sprach holte er einen, der Englisch konnte. Der führte mich gleich zum diensthabenden Offizier, der mir erklärte, ich müsste 71 Dollar für Zoll, Versicherung und Straßenbenutzungsgebühr bezahlen. Der Schleuserfreund nahm meine Pässe und Unterlagen und ging mit mir ins Wechselbüro. Der Angestellte machte drei Geldhaufen, wovon ich einen einem Umherstehenden Mann geben musste - und ich weiß bis heute noch nicht warum ! Jedenfalls deckten sich die 71 Dollar mit den Angaben vom ADAC. Dann ging es in das Versicherungsbüro, wo ich für den zweiten Stapel Geld meine Versicherung bekam. Und dann ging es wieder zum Zoll, wo der Beamte nicht wollte, dass ich an der Schlange vorbei eine Vorzugsbehandlung bekomme.

 

Also ging mein Schleuserfreund ins Büro und kam mit dem diensthabenden Offizier wieder raus. Der füllte dann höchstpersönlich (!) den neuen Fahrzeugschein auf arabisch aus, bis er keine Lust mehr hatte und irgendetwas reinschrieb. So, und jetzt wusste ich auch, dass die Beamten auch von meinen 5 Dollar Baksish profitierten. Eigentlich wollte der Schleuserchef ja 10, aber ich habe ihm gesagt ich bin Student und mehr ist nicht drin. Hat er dann auch akzeptiert. Und somit war das Schlimmste schon vorbei. Ich hatte alle Stempel und Unterlagen und durfte zum Kontrollhäuschen fahren. Dort saßen drei Beamte, die gerade Brotzeit machten, eine schließ in seinem Häuschen. Als der geweckt war konnte es losgehen. Die Beamten waren sehr freundlich und fanden es auch kurios, dass  wir mit unserem "Volkswagen" bis aus Almanya kamen. Good country ! Dort musste ich noch mal 50 Syrische Pfund für ein kleines Zettelchen bezahlen, der eine wollte zwar 100, aber der andere hat ihn dann etwas geschimpft und plötzlich waren es wieder 50. Das alles seine Richtigkeit hat, hat mir der Beamte noch die arabischen Zahlen auf dem Geldschein und auf dem Zettel gezeigt und dass sie übereinstimmen. Eine kurze, sehr oberflächliche Durchsuchung unseres Gepäcks beendete unseren Aufenthalt an diesem Grenzposten und wir durften passieren.

Auf zum letzten (!) Posten. Dort wurde alles noch einmal kontrolliert. Der kleine Zettel flog dem Beamten aus der Hand und wurde vom wind davongetragen. Ich bin ihm dann hinterhergehechtet und habe ihn zurückgebracht, wofür mich der Beamte nur anlächelte. Den brauchen wir nicht mehr ! Und wieder was gelernt in punkto Müllbeseitigung in Syrien. Die Frage ob wir verheiratet wären beantworteten wir natürlich mit ja, die Frage ob wir Kinder hätten mit nein. wir mussten versprechen, in Syrien welche zu zeugen. Gut, das im Islam Lügen nicht verboten ist. Dann habe ich noch schnell ein Foto gemacht und wir hatten es geschafft. Nach 5 Tagen Fahrt legten wir die ersten Kilometer in Syrien zurück JUHUUU !

 

 

Aber ich hatte mich zu früh gefreut. Mittlerweile war es dunkel und ich kann gar nicht so richtig beschreiben, was das für uns hieß. Also, es gab keine Begrenzungspfosten oder Mittelstreifen. Manche Autos hatten hinten kein Licht, andere dafür vorne nicht. Die entgegenkommenden Autos haben uns extrem geblendet. Überall sind Schlaglöcher, geteerte Huckel oder Sandhügel vom letzen Straßenbau auf der Straße. Unbeleuchtete Pferdegespanne sind genauso an der Tagesordnung wie Abzweigungen, die man erst bemerkt, wenn man schon vorbei ist. Plötzlich stehen drei schwarz gekleidete Moslemfrauen vor mir auf der Straße. Nur eine Vollbremsung konnte verhindern, dass sie jetzt nicht tot sind - Gleiches gilt für die Esel und Schafe, die uns begegnet sind. Aber es war enorm beeindruckend. Auch wenn wir für die knapp 40 Kilometer nach Aleppo über eine Stunde gebraucht haben. Und dann kam das andere Extrem. In der Millionenstadt Aleppo fahren die Autos für den europäischen Autofahrer ohne erkennbares System. Man fährt so wie man will, ständig schneidet einen jemand, es wird gehupt, gedrängelt, abgedrängt und eigentlich müsste ständig ein Unfall passieren - das ist aber nicht so. Bei so einem Verkehrsverhalten hat auch ein versierter europäischer Autofahrer am laufenden Band weiche Knie. es ist unbeschreiblich, einfach nur brutal chaotisch. Als wir dann immer näher in Richtung Stadtzentrum kamen habe ich einen Taxifahrer bezahlt, der uns zum Hotel vorausgefahren ist. So konnte ich mich auch gleich besser an den Verkehr gewöhnen. Wir kommen gut und heil am Hotel an und stellen unser Auto direkt an der gegenüberliegenden Straßenseite ab. Ohne Angst zu haben, dass etwas geklaut wird. In Syrien geht das noch. Wir gehen noch einen Felaffeldöner essen und lassen die Atmosphäre der tollen Stadt auf uns wirken, gehen aber relativ bald ins Bett, das war ein enorm anstrengender Tag - und freuen uns natürlich über die Klimaanlage im Hotelzimmer, denn es hat immer noch 31°C.

 

So, für jeden, der es bis hierher durchgehalten hat: das war jetzt aber die längste Tagesbeschreibung unserer Reise. Ich wollte einfach die Erlebnisse an der Grenze möglichst genau wiedergeben. Die nächsten Tage werden kürzer ! Versprochen :-)))

 

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